Vorsicht vor dreistem Geschäftsmodell: Automatisierte Abmahnungen kosten immer mehr Menschen die Existenz

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Kleinunternehmer, die ihre Produkte in Online-Shops anbieten wollen, müssen bei der Kennzeichnung der Waren äußerst vorsichtig sein. Kleinere Fehler sind fast vorprogrammiert - und mit sogenannten Abmahnvereinen gibt es Organisationen, die mit dem Aufspüren solcher Fehler ihr Geld verdienen. Betroffene wehren sich nun.

Eine Onlinepetition versucht derzeit das Ohr des Bundestags zu finden. Die Unterzeichner fordern eine „Reform des wettbewerbsrechtlichen Abmahnwesens“. Als Betroffene sehen sich vor allem Kleinunternehmer, deren Existenz durch das Gewinninteresse von Abmahnvereinen und spezialisierten Anwälten bedroht sei. Viele von ihnen haben mit hohen Geldforderungen zu kämpfen.

Wie der „Spiegel“ schreibt, kann die Initiatorin der Petition ein Lied davon singen: Vera Dietrich aus Bonn habe eine Zeit lang selbstentworfene Schals im Internet verkauft – bis sie die erste Abmahnung bekam. Den Shop musste sie schließen. „Das finanzielle Risiko auch für meine Familie war mir einfach zu hoch“, sagte sie dem Magazin. So wie ihr ergeht es vielen Kleinunternehmern.

Umfrage: 44 Prozent der Onlinehändler bereits mindestens einmal abgemahnt

Meist reicht für den Erhalt einer Abmahnung schon ein kleiner Flüchtigkeitsfehler.

Meist reicht für den Erhalt einer Abmahnung schon ein kleiner Flüchtigkeitsfehler.

Foto: Jens Kalaene/dpa

Einer Umfrage des Dienstleisters Trusted Shops unter 1500 Onlinehändlern zufolge seien 44 Prozent von ihnen schon einmal abgemahnt worden. Im Schnitt habe sie das 1300 Euro gekostet. Üblicherweise bekommen die Händler erst die Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Bei einem Verstoß drohen dann aber Strafen im vier- oder fünfstelligen Bereich.

Dabei geht es laut „Spiegel“ oft um Flüchtigkeitsfehler. „Da kommt es zuweilen auf jedes Wort und jedes Komma an“, sagte die IHK-Juristin Hildegard Reppelmund dem Magazin. „Es reicht schon für eine Abmahnung, wenn Sie beispielsweise im Impressum den Namen nicht vollständig ausschreiben oder bei Textilkennzeichnungen die Prozentangaben vergessen.“

Kritik an "Abmahnungen als lukrative Einnahmequelle"

Natürlich gibt es die Vorschriften im Handel aus gutem Grund und auch die Petition nannte Abmahnungen „grundsätzlich ein sinnvolles Instrument außergerichtlicher Streitbeilegung für Verbraucher und Unternehmen“. Kritisiert wird jedoch der Missbrauch dieses Instruments als lukrative Einnahmequelle. Den Abmahnfirmen ist das laut „Spiegel“ rein rechtlich erlaubt.

Laut IHK-Expertin Reppelmund setzt die „Abmahnindustrie“ inzwischen Suchprogramme ein, die automatisch Handelsplattformen im Internet auf Flüchtigkeitsfehler überprüfen. Danach werde an die Betroffenen ein Standardschreiben geschickt. Wer die lebenslang gültige Unterlassungserklärung unterzeichne stehe dann unter Beobachtung: Der kleinste Fehler kann Tausende Euro kosten.

Aktivster Verein: 22 Prozent aller Abmahnungen gehen auf sein Konto

Am aktivsten ist laut der Umfrage von Trusted Shops der „IDO Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen“. 22 Prozent aller Abmahnungen gingen auf diese Firma zurück. Laut „Spiegel“ sind einige Vorstandsmitglieder von IDO gleichzeitig Gesellschafter eines Inkassounternehmens. Angeblich habe der Interessenverband 2400 Mitglieder.

Die Staatsanwaltschaft Trier ermittle gegen das Unternehmen wegen der womöglich falschen eidesstattlichen Aussage einer Mitarbeiterin über die Verbandsmitglieder. Dabei seien auch bereits die Büroräume von IDO durchsucht worden. Der Interessenverband selbst weist alle Vorwürfe zurück. In Hinblick auf die Abmahnungen gehe der größte Teil auf Beschwerden zurück.

"Abmahnmissbrauch": Auch die Politik ist jetzt gefragt

Die Onlinepetition, die bisher rund 10.000 der 50.000 nötigen Unterschriften erreicht hat, fordert ein Vorgehen der Politik gegen den Abmahnmissbrauch. Damit sieht man sich im Einklang mit vielen Wirtschaftsverbänden. „Hier werden aus Gewinninteresse Existenzen und Lebensträume vernichtet und es entsteht ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher Schaden“, so die Initiatoren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Focus Online.