Wo Google eine kleine Nummer ist

Alibaba, Tencent und Baidu haben mit staatlicher Hilfe den US-Konkurrenten den Meister gezeigt. Erobern die Chinesen nun den Westen und die Börsen?

Werner Grundlehner
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Die chinesischen Anbieter von Web-Dienstleistungen haben einen eindrücklichen Aufstieg hinter sich. (Bild: Aurel Märki)

Die chinesischen Anbieter von Web-Dienstleistungen haben einen eindrücklichen Aufstieg hinter sich. (Bild: Aurel Märki)

Die amerikanischen Anbieter von Web-Dienstleistungen haben sich in ihren Tätigkeitsbereichen eine dominierende Stellung erarbeitet. Die Mehrheit der Internetnutzer sucht mit Google, verbindet sich mit Freunden über Facebook und kauft Bücher und Speicherplatz über Amazon. An den FANG-Aktien (Facebook, Amazon, Netflix und Google) kommt man als Anwender und Anleger kaum vorbei. Ganz anders sieht es hingegen in China aus. Die FANG-Unternehmen weisen dort sehr tiefe Marktanteile auf. Die Marktführer heissen Baidu (Suchmaschine), Tencent (Social Media) und Alibaba (E-Commerce). Weil China mit rund 1,4 Mrd. Einwohnern ein riesiger Markt für sich allein ist, machen diese bei uns noch wenig bekannten Unternehmen den US-Marktführern auch in absoluten Zahlen ernsthaft Konkurrenz.

Der Aufstieg der chinesischen Anbieter hat aber auch etwas mit der Grossen Mauer zu tun, nicht mit jener aus Steinen und Mörtel, sondern dem «Great Chinese Firewall», den die chinesische Regierung hochgezogen hat. Dienste wie Google, Uber oder Amazon bekommt man in China, wenn überhaupt, nur mit viel Mühe und eingeschränkt zum Laufen. Für jeden erfolgreichen IT-Konzern im Okzident bietet das Reich der Mitte einen Klon. Was bei uns Uber ist, nennt sich in China Didi Chuxing, und der Twitter-Konkurrent ist unter Sina Weibo bekannt. Dieser hat aber deutlich mehr Erfolg als sein US-Pendant. Weibo ist beliebt bei jungen Anwendern, ist ein «Must» für chinesische Persönlichkeiten und verfügt über ein funktionierendes Live-Streaming.

Im Internet surfen – das bedeutet in China über das Smartphone im Web sein. Mehr als 90% der Chinesen, die online sind, gehen mit dem Mobiltelefon ins Netz. Laut staatlichen Angaben waren Ende 2015 in China 780 Mio. Smartphones in Betrieb, und die Verbreitung nimmt rasch zu.

Der Aufstieg der
chinesischen Internet-Firmen hat auch
etwas mit der Grossen Mauer zu tun.

Oft haben bei uns chinesische Produkte das Image, billige Imitate von westlicher Technologie zu sein, doch zumindest bei den Web-Dienstleistungen ist das nicht korrekt. Das zeigt sich etwa bei den Bezahldiensten, die in der Chat-Anwendung Wechat (Tencent) und Alipay (Alibaba) integriert sind. Diese Dienste bieten viel umfassendere Services als etwa Whatsapp oder Paypal. In chinesischen Grossstädten kann man heute problemlos ohne Bargeld aus dem Haus gehen – und viele Chinesen machen das auch.

Mit den Bezahldiensten von Wechat und Alipay kann man an der Tankstelle, an der Imbissbude, auf dem Einwohneramt und im Spital zahlen. Der Anwender kann aber auch ein Menu auswählen, ein Taxi bestellen oder eine Reise buchen und umgehend begleichen. Dabei ist der Bezahldienst viel günstiger als etwa Paypal. Die Idee der Anbieter dahinter ist: Wenn der Kunde alles hat, muss er unser Internetangebot gar nicht mehr verlassen.

Wechat ist am ehesten mit Facebook und Whatsapp vergleichbar. Der Dienst hat mittlerweile fast 1 Mrd. aktive User. Mit dem Bezahldienst ist die Social-Media-Plattform mit Chat-Dienst ihrem US-Kontrahenten weit voraus. Oft sind sich die US-Version und die «China-Kopie» aber sehr ähnlich. Alibaba ist wie Amazon ebenfalls ein wichtiger Player im Cloud-Geschäft, Wechat plant, wie Facebook ein Virtual-Reality-Headset zu lancieren. Die Muttergesellschaft Tencent ist mit weiteren Web-Diensten auch im Musik- und Video-Streaming-Geschäft und ist hier Apple sehr ähnlich.

Alibaba wickelt
mittlerweile mehr Transaktionen ab
als Amazon und
Ebay zusammen.

Auch Baidu gleicht Google stark. Der Aufstieg der Firma begann, als Google aus Angst vor Zensur sich grösstenteils aus dem Land zurückzog. Neben der Suchmaschine, die rund 80% der chinesischen Suchanfragen erhält, betreibt Baidu auch einen Landkarten-, Musik-, Übersetzungs- und Datenspeicher-Dienst. Baidu wurde zuletzt von einigen Skandalen heimgesucht und hat den Umstieg auf das Mobiltelefon etwas verschlafen. Das Umsatzwachstum fiel im vergangenen Jahr auf 6,3%, nach 35% und 54% in den Vorjahren. Einige nennen Baidu deshalb bereits das «Yahoo Chinas». Die Investoren schätzen jedoch den Vorstoss von Baidu in den Bereich künstliche Intelligenz.

Wenn Google und Co. schnell wachsen, dann expandieren ihre chinesischen Counterparts ebenfalls sehr schnell. Für das zweite Quartal hat die Alibaba-Gruppe Einnahmen von 7,4 Mrd. $ ausgewiesen. Im Vergleich zur Vorjahresperiode entspricht das einem Plus von 56%. Der Internetkonzern bietet dabei eine Vielzahl von E-Commerce-Diensten an, zwischen Unternehmen (B2B), zwischen Unternehmen und Endkunden wie etwa Amazon (B2C), aber auch Auktions-Websites für den Verkauf von Konsument zu Konsument, wie das Ebay und Ricardo anbieten (C2C). Alibaba wickelt mittlerweile jährlich mehr Transaktionen ab als Ebay und Amazon zusammen. Dabei kommt dem Unternehmen auch die vielerorts noch mangelhafte Infrastruktur zugute – in China kommt im Schnitt auf 1,2 Mio. Einwohner ein Einkaufszentrum. Daneben betreibt Alibaba den Bezahldienst Alipay und zahlreiche andere Dienstleistungen wie etwa Cloud-Computing.

Noch explosiver legt im zweiten Quartal Tencent zu. Statt der erwarteten 7,9 Mrd. $ setzte das Unternehmen 8,4 Mrd. $ um. Im Vergleich zur Vorjahresperiode legten die Einnahmen 59% zu. Die Gewinne kletterten gar um 68% auf 2,7 Mrd. $. Der Anbieter der beliebten Universal-App Wechat ist seit einiger Zeit an der Börse der wertvollste Konzern Asiens. Im zweiten Quartal 2017 sind die Unternehmen Alibaba und Tencent unter die zehn Unternehmen mit der grössten Marktkapitalisierung weltweit vorgestossen. Beide Aktien haben im laufenden Jahr mehr als 70% zugelegt. Auch hier sind die Unternehmen ihren amerikanischen Konkurrenten sehr ähnlich – ihre Aktien sind ebenfalls sehr stolz bewertet.

Der Erfolg ihrer umfassenden Angebote führt dazu, dass der Konkurrenzkampf unter den chinesischen Anbietern immer intensiver wird, deshalb schielen die Gesellschaften auch über die Grenzen. Die chinesischen Internetdienstleister haben einen effizienten «Aussendienst», der ihre Produkte in die Welt hinausträgt – chinesische Touristen, die ins Ausland reisen. Die Zahl dieser Botschafter wächst rasch. Auf europäischen Flughäfen und in wichtigen Tourismuszentren können Chinesen bereits in vielen Läden mit ihren gewohnten chinesischen Bezahldiensten mittels Smartphone bezahlen.

Einwohner aus den westlichen Industriestaaten könnten so auf den Geschmack kommen, wenn sie sehen, dass chinesische Anbieter mehr Dienstleistungen für weniger Geld anbieten. Ein gewichtiger Bremsklotz könnte jedoch sein, dass man sich schwer überwindet, einen Teil seines Guthabens einem chinesischen Unternehmen anzuvertrauen.

Die chinesischen Unternehmen wollen an ihrem überdurchschnittlichen Wachstum festhalten und werden deshalb auch über die Landesgrenzen hinaus expandieren müssen. Die dominierenden westlichen Internetanbieter müssen sich auf neue Konkurrenz gefasst machen. Das Durchbrechen dieser Quasimonopolstellungen der FANG-Unternehmen ist für Konsumenten und Anleger ein Segen. Die chinesischen Herausforderer müssen jedoch ausserhalb des Heimmarktes auf die schützende Hand der kommunistischen Regierung verzichten und sich dem «ehrlichen» Wettbewerb stellen.

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